Die Digitalisierung eröffnet neue Wege, Geschichte nicht nur zu bewahren, sondern visuell erfahrbar zu machen. Das Forschungsprojekt „RegioBioGraph“ lotete genau dieses Potenzial aus – mit einem klaren Fokus auf innovative Datenvisualisierung im Kontext lokalhistorischer Archive. Im Zentrum stand dabei die Frage, wie aus umfangreichen, teils fragmentarischen Datensätzen sinnvolle, visuelle Erzählungen entstehen können, die sowohl wissenschaftlich fundiert als auch gesellschaftlich anschlussfähig sind.
Ein wesentliches Element des Projekts war die Zusammenarbeit mit der Topothek, einer Plattform für Citizen-Science-Archive, auf der lokalhistorisches Wissen unter Mitwirkung der Bevölkerung gesichert und zugänglich gemacht wird. Diese Datenfülle – bestehend aus Bildern, Dokumenten, Videos und Metainformationen – verlangt nach neuen methodischen Zugängen, um sie nicht nur archivisch zu verwalten, sondern erzählerisch aufzubereiten.
Visuelle Interfaces für historische Datenwelten
Die Forschungsgruppe Media Creation an der FH St. Pölten unter der Leitung von Georg Vogt entwickelte dazu ein innovatives Tool: den „RegioBioGraphen“. Dieser Prototyp erzeugt visuelle Darstellungen biografischer und sozialhistorischer Zusammenhänge, basierend auf kuratierten Archivdaten und thematischen Fragestellungen. Das Ziel: ein intuitives Interface, das historische Komplexität visuell strukturieren und gleichzeitig narrative Zugänge ermöglichen kann.
Datenvisualisierung bietet nicht nur Orientierung im Informationsraum, sondern schafft auch einen neuen Zugang zur Geschichte, indem sie Beziehungen zwischen Personen, Ereignissen und Orten sichtbar macht. Die Schnittstelle zwischen visueller Analyse und filmischer Erzählung wurde dabei bewusst ausgelotet:
„Die Fähigkeit des Films, Ereignisse zu konservieren und im Rahmen der Montage neu zu arrangieren, hat den Zugang zu Geschichte über weiter Strecken des 20 Jahrhunderts geprägt. Im Rahmen fortlaufender Digitalisierung stellt sich nun die Frage, inwieweit die Vielfalt von Erzählansätzen mit Techniken kombiniert werden können, die sich der Darstellung und Verknüpfung von Daten widmen“ - Georg Vogt.
Fallstudien zwischen Archiv, Film und Visualisierung
Im praktischen Testlauf arbeitet das Projekt mit zwei exemplarischen Fallstudien: der jüdischen Gemeinde Groß-Enzersdorfs sowie den Biografien aus dem Filmprojekt „Über weiter Leben“, das sich mit dem Weiterleben nach dem Holocaust und der Rückkehr jüdischer Überlebender nach Österreich beschäftigt. Diese Fallbeispiele wurden sowohl filmisch als auch datenbasiert analysiert und visualisiert.
Die Herausforderung lag darin, nicht nur Datenpunkte zu visualisieren, sondern eine dramaturgisch sinnvolle Struktur zu erzeugen – also eine Form von „visueller Narration“, die sich aus dem Zusammenspiel von Archivmaterial, Zeitverlauf und Kontextinformationen ergibt.
Ein Prototyp mit gesellschaftlicher Relevanz
Die Ergebnisse zeigen, dass Datenvisualisierung weit mehr ist als ein technisches Add-on. In Verbindung mit partizipativen Archivplattformen wie der Topothek eröffnet sie neue didaktische und museale Perspektiven. Der RegioBioGraph ist derzeit im Stadtmuseum Groß-Enzersdorf im Einsatz und dient dort als Prototyp zur Vermittlung historischer Inhalte auf interaktive Weise.
Am 10. Mai wird das Projekt mit der Buchpräsentation „Digitale Erinnerungsräume gegen das Vergessen“ im Stadtmuseum Groß-Enzersdorf öffentlich vorgestellt (Link zur Veranstaltung). Projektpartner waren das Archiv und die theaterhistorische Sammlung des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Deren Leiterin Birgit Peter initiierte ebenfalls das Filmproject „Über weiter Leben“. Finanziert wurde das Projekt von der Gesellschaft für Forschungsförderung Niederösterreich (GFF). Mit RegioBioGraph wird deutlich: Datenvisualisierung kann mehr als nur darstellen – sie kann Geschichte lesbar machen.
Lesehinweis
Erkenntnisse und Ergebnisse zu dem Forschungsprojekt sind als Beitrag im Sammelband “Digitale Strategien zur Erschließung prekärer Bestände. Über Erzählen, Ausstellen, Partizipieren“ von Birgit Peter, Georg Vogt, Clemens Baumann, Klaus Illmayer, Alexander Rind, Sara Tiefenbacher (Hg.) erschienen (Link zur Verlagsseite).
Bild oben: Der Prototyp des RegioBioGraph im Einsatz © Clemens Baumann/ FH St. Pölten