Der Südwestrundfunk (SWR) erprobt seit September 2025 in einem dreimonatigen Innovationsprojekt die Möglichkeiten virtueller Studioproduktion. Im Zentrum steht eine technische Konstellation, die neue Maßstäbe für Live-Produktionen setzen könnte: eine 10 x 4 Meter große Crystal-LED-VERONA-Wand gekoppelt mit dem neuen Trackingsystem OCELLUS (beide von Sony).
Technische Infrastruktur im Detail
Bei der Installation in Studio 6 in Baden-Baden kommt eine Mehrkameraproduktion mit drei simultan getrackten Kameras in einer Virtual-Production-Umgebung zum Einsatz. Das OCELLUS-Trackingsystem, speziell für Augmented-Reality- und virtuelle Produktionsanwendungen im Broadcast- und Kinobereich entwickelt, synchronisiert die Kamerapositionen in Echtzeit mit den auf der LED-Wand dargestellten virtuellen Hintergründen.
Anders als bei konventionellen Green-Screen-Produktionen entstehen die finalen Bilder bereits während der Aufnahme, ohne nachträgliche Compositing-Prozesse. Die LED-Wand reagiert dynamisch auf Kamerabewegungen und erzeugt durch den Parallax-Effekt eine realistische räumliche Tiefe. Dieser aus der Games-Entwicklung stammende Designansatz soll dafür sorgen, dass sich virtuelle Objekte in verschiedenen Ebenen unterschiedlich schnell bewegen und so eine dreidimensionale Wahrnehmung entsteht.

Workflow und Entwicklungspartnerschaft
Für die technische Realisierung hat der SWR eine Entwicklungspartnerschaft mit Sony geschlossen. Die Planung, der Aufbau sowie die Kalibrierung der komplexen Produktionstechnik erfolgten in Kooperation mit dem österreichischen AV-Unternehmen AV-Professional. Diese Zusammenarbeit soll es ermöglichen, die einzelnen Komponenten – von der LED-Wand über Kameratechnik und Sensorik bis zur Software-Lösung – optimal aufeinander abzustimmen.
Die virtuellen Sets werden in der Unreal Engine erstellt, einer Echtzeit-Grafikumgebung, die ursprünglich für die Videospiel-Entwicklung konzipiert wurde und zunehmend in professionellen Broadcast-Umgebungen Anwendung findet. Die Herausforderung besteht darin, reale Objekte vor der LED-Wand so in die virtuellen 3D-Environments zu integrieren, dass die Übergänge zwischen physischer und digitaler Welt nahezu unsichtbar werden.
Praxistest mit anspruchsvollem Content
Als Testformat dient die interaktive Pen-&-Paper-Show „Fehler im System“, die am 24. und 25. Oktober 2025 jeweils vier Stunden live auf Twitch übertragen wird. Die Wahl fiel nicht zufällig auf dieses Genre: Pen-&-Paper-Formate erfordern häufige Szenenwechsel und unterschiedliche virtuelle Locations – sechs verschiedene Sets kommen zum Einsatz –, was die Flexibilität der Virtual-Production-Technologie ideal demonstriert.
„Das virtuelle Produzieren mit mehreren getrackten Kameras kann für die Medienwelt ein echter Game Changer sein“, erklärt Michael Eberhard, SWR Direktor Technik und Produktion. Die Technologie verspreche gestalterische Möglichkeiten bei gleichzeitig höherer Effizienz, Flexibilität und Wirtschaftlichkeit.
Sebastian Leske, Head of Cinema Business Development bei Sony Europe, betont die Bedeutung der Integration: „Studioproduktionen stehen vor der Herausforderung, Darsteller und Studio-Set mit virtuell erzeugtem Hintergrund stimmig zu verschmelzen. Das funktioniert am besten, wenn LED-Wand, Kameratechnik und Sensorik aufeinander abgestimmt sind und eine umfassende Software-Lösung diese Komponenten in einem effizienten Workflow zusammenführt.“
Evaluation weiterer Use Cases
Neben dem Pen-&-Paper-Format testet der SWR bis Jahresende vier weitere Anwendungsszenarien: eine szenische Dokumentation mit Trailer, eine Live-on-Tape-Studioproduktion, ein Challenge-Format sowie ein Social-Media-Erklärformat. Diese Diversität soll aufzeigen, in welchen Produktionsbereichen – von Unterhaltung über Kultur bis Information – Virtual Production künftig in Eigenproduktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zum Einsatz kommen kann.